Montag, 8. Oktober 2012

De spurclibus


Da bin ich doch auf meinem etwa jährlichen online-Streifzug, zu sehen, wie es um Jul stehe, auch und gerade mit Bezug auf das Pflänzchen Alte Sitte, auf folgendes gestossen:


O weh, wo anfangen? Bevor ich nun im Folgenden meine Häme ausgiesse, eine Klarstellung: dieser Odinsson hat sehr wenig Geduld mit Leuten, die das "Falsche" tun oder glauben, seien es nun Christen, Anhänger von Wicca oder "Wiccatru" oder Mainstream-Neuheiden. [Edit: folgende Streichung auf ausdrücklichen Wunsch im Kommentar vom 11. Oktober Christen sind allesamt perfide Sadisten und Teufelsanbeter. Wicca und "Wiccatru" sind arme Idioten, die nicht wissen, was sie tun. Alle heidnischen Vereine Deutschlands sind entweder Altnazis oder pseudoheidnische Heuchler, s. Christen.]
Wenn jemandem ein Fehler unterläuft, kann man das zivil und mit gut christlicher (sic) caritas aufzeigen, im Wissen um die eigene Fehlbahrkeit. Wenn aber jemand sich dermassen verrennt, und dann als einzige Möglichkeit dafür, dass niemand bisher auf diese "Goldgrube" gestossen ist, die offenslichtliche Ignoranz und traurige Unbildung aller Heiden Deutschlands beklagt, nun, in so einem Fall wäre die Übung von caritas wirklich etwas allzu-christlich.

Zuallererst, nein, Jul ist nicht und war nie identisch mit der astronomischen Wintersonnenwende. Weihnachten übrigens auch nicht. Wenn heute  jemand ein "Julblot" zum Zeitpunkt der astronomischen Sonnwende durchführen will, dann begrüsse ich das dennoch als hübsche Innovation innerhalb einer neuheidnischen Spiritualität. Natürlich nur, solange dabei nicht behauptet wird, man rekonstruiere damit ein antikes Ritual.

Was für ein "frühmittelalterlicher Text" wurde hier aber "ausgewertet"? Es geht um
"Die abergläubischen und heidnischen Gebräuche der alten Deutschen nach dem Zeugnis der Synode von Liftinae im Jahre 743" vom bischöflichen Konsortialrat Professor Franz Widlak
genauer um den Punkt:
Von den unsauberen Festen im Februar. ("De spurc libus in Februario" Indicul. superst. et pag. num. 3)
Leider wurde aber in der "Auswertung" nicht weiter verfolgt, wofür denn dieses ominöse "spurc libus" stehen könnte, und ebensowenig die Quellenangabe "Indicul. superst. et pag. num. 3". Dafür wird das völlige Fehlen eines "spurc libus"-Bewusstseins in heidnischen Vereinen gegeisselt:
Unerklärlich, dass heidnischen Vereinen so etwas nicht aufgefallen sein soll. Könnte dies daran liegen, dass in diesem Text ausdrücklich von heidnischen Priestern und Tempeln im Wald berichtet wird und wie der Bischof und Mönche diese persönlich diese zerstören musste, weil das Volk nicht wollte?
Nun, der fragliche Text ist der Indiculus superstitionum et paganiarum. Dieser sollte dem geneigten Leser von Grimms Deutscher Mythologie von 1835 bekannt vorkommen. Ediert wurde er 1835 in Monumenta Germaniae Historica, und später auch bei Grimm abgedruckt in Band 3 (Ausgabe von 1878, S. 403f). Den Text vollständig abzudrucken ist auch nicht schwierig, denn es handelt sich um ein einziges Manuskriptblatt (beidseitig) aus dem späten 8. Jh. (Cod. Pal. lat. 577 fol. 7). Die Seite ist das Inhaltsverzeichnis zu einem verlorenen Text über den Aberglauben unter den Franken in den 740er Jahren, also der Zeit der "germanischen Konzile" unter Leitung von Bonifatius. Dass dieser Text verloren gehen musste, und erst noch das Inhaltsverzeichnis erhalten blieb, um uns vor Augen zu führen, was wir eben nicht mehr haben, das fand schon Grimm "sehr zu beklagen". Und das ist es auch. Die fränkische Bevölkerung im 8. Jh. hing natürlich längst nicht mehr einem "germanischen Heidentum" in Reinkultur an. Nominell war sie seit Menschengedenken christianisiert, und die Volksreligion stellte sich als abenteuerlicher Synkretismus aus germanischen, gallo-romanischen und christlichen Elementen dar.

Der Franz Widlak, dessen Schrift über die Gebäuche der alten Deutschen hier bemüht wird, war um 1900 Gymnasialrektor im mährischen Znaim (Znojmo), damals in Österreich-Ungarn. Er war wohl "k. k. Professor" und "bischöflicher Konsistorialrat" (und nicht *"Konsortialrat"), Titel, wie man sie im k.u.k. Österreich wohl einem tüchtigen Rektor verlieh, aber das macht ihn noch nicht zum hohen Kleriker, der wie Torquemada mit wehendem Mantel, Perfidie und Daumenschraube gegen das Heidentum durchgreift. Seine Schrift über die Gebräuche der alten Deutschen ist ein kleines Pamphlet mit 36 Seiten, das er im Selbstverlag (d.h., zusammen mit einem Gymnasium-Blättchen) herausgegeben hat. Dummerweise unterlief ihm genau im hier "ausgewerteten" Abschnitt ein Druckfehler, und so steht nun de spurc libus unter Punkt drei, wo die Handschrift hat
De spurcalibus in febr[uario]

Kein Wunder stösst man also bei Google auf bedenkliche Leere bei Verwenden des Suchbegriffs "spurc libus". Ähnlich verhält es sich mit Widlaks "Synode von Liftinae": nach 1900 deutet diese Schreibweise fast ausschliesslich auf Rezeption von Widlaks Büchlein, und von aussliesslich diesem. Die fragliche Synode ist besser bekannt als diejenige von Estinnes (oder von Leptinä). Sie war das zweite "germanische Konzil" unter Leitung von Bonifatius, und tatsächlich wurde der verlorene Text, dessen Inhalt der Indiculus zusammenfasst, wohl im Zusammenhang dieser Synoden erstellt (dazu gibt es eine abweichende Meinung, s.u.). Die erhaltene Manuskriptseite dagegen ist um die 50 Jahre jünger und stammt aus sächsischem Kontext. Unmittelbar davor in derselben Handschrift (6v, 7r) ist uns auch das berühmte Sächsische Taufgelöbnis überliefert, eines unserer wichtigsten Zeugnisse für die kontinentalgermanischen (sächsischen) Hauptgötter zu dieser Zeit, Thunaer, Uuôden und Saxnôt. Die Idee ist hier, dass der Text über den fränkischen Aberglauben hier für die Bekehrung der Sachsen "rezykliert" wurde, d.h. die Sachsen waren zu dieser Zeit im Gegensatz zur Bevölkerung im Gebiet des heutigen Belgien sehr wohl noch eigentliche "germansiche Heiden".

Die Germanistik war selbstverständlich in der Lage, die Bedeutung des Indiculus auch ohne die Hilfe von Franz Widlak zu würdigen. Grimm zog daraus, was er konnte. Im Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (Bd. 15, 2000) sind ihm 15 Seiten gewidmet. Eine Monographie dazu erschien 1966 (Homann, Diss. Göttingen, non vidi). Unkenntnis von Widlak ist also keineswegs gleichbedeutend mit Unkenntnis des Indiculus selbst.

Der Odinsson repliziert nun den Kommentar bei Widlak zu Punkt drei des Indiculus und macht deutlich:
Dies ist ein übersetzter lateinischer Text aus dem 8. Jahrhundert, von christlichen Missionaren, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, dass Heidentum zu vernichten und dies mit Perfidie und Methode betrieben.


In Wirklichkeit handelt es sich einen modernen Kommentar. Der frühmittelalterliche Text lautet schlicht und ergreifend: De spurcalibus in Februario.

Es folgt die Auswertung des frühmittelalterlichen Textes:
Offenbar gab sich die fränkische Bevölkerung des 8. Jh. im Monat Februar gewissen ausschweifenden Feten hin, die an Bonifatius' Synoden missbilligend zur Sprache kamen.
Ende der Auswertung des frühmittelalterlichen Textes.

Wie steht es aber um die Rezeption des Indiculus, oder gar Widlaks, in den deutschen neuheidnischen Vereinen? Nach raschem Googlen finde ich, dass ausgerechnet der vielgeschmähte "Geza, Allsherjargode" sich vergangenen März dazu geäussert hat, und zwar (abgesehen vom "Lichtgruß") ausgesprochen sachlich und wohlinformiert:

Mir liegt die Fassung von Prof. Franz Widlak, Znaim o. J. (Gründerzeit) vor, auch dort stehen nur die Verbote als Überschriften und er fügt seine eigenen Kommentare hinzu. Der Indiculus besteht nur aus diesen Überschriften. Lichtgruß, Geza
Man kann dem guten Geza von Neményi gewiss alle möglichen Sünden vorwerfen, Mangel an germanistischer Bildung oder Quellenunkundigkeit scheint jedenfalls nicht dazuzugehören.

"Gründerzeit" meint gemeinhin so etwa 1850-1880; Widlaks Büchlein datiert aber nach 1900;  laut Reallexikon war der ursprüngliche Publikationsort das "Schulprogramm Znaim 1903/04"; derartiger Abdruck zusammen mit Schul-Interna war damals für akademische Essays von Rektoren gang und gäbe. Ja, erstaunlicherweise gibt es noch einen anderen Rektor, diesmal Heinrich Albin Saupe aus Leipzig, der 12 Jahre vor Widlak (1891) genau dieselbe Übung unternahm und ebenfalls auf 36 Seiten im Grossen Programm des städtischen Realgymnasiums zu Leipzig seinen Kommentar drucken liess, unter dem Titel Der Indiculus superstitionum et paganiarum, ein Verzeichnis heidnischer und abergläubischer Gebräuche und Meinungen aus der Zeit Karls des Grossen. Die Übereinstimmung der Seitenzahl macht stutzig, und es würde mich interessieren, ob Widlak 1903 vielleicht ganz einfach den Aufsatz von Saupe 1891 geklaut hat? Oder vielleicht gar mit Erlaubnis nachgedruckt? Leider liegt mir keiner der beiden Publikationen vor, so dass ich das nicht entscheiden kann.

Es stellt sich aber heraus, dass die Erläuterung zum Indiculus bei Widlak nicht etwa dessen "eigene Kommentare" sind, vielmehr sind sie Wort für Wort übernommen von Seiters, Bonifacius, der Apostel der Deutschen (1851). Bestimmt würde das deutlich, wenn man die Einleitung von Widlaks Publikation lesen würde (die mir nicht vorliegt).


Wenn wir schon mal soweit sind, was war also Seiters' Meinung zu diesen "Ausschweifungen im Februar"?
Im Februar wurde unter Mummereien, Trinkgelagen, und Schmausereien das Julfest, das Fest der wiederkehrenden Sonne gefeiert, wobei ein Eber geopfert wurde; der Februar war überhaupt der Monat heidnischer Feste. Man hat den in Niederdeutschland und in Holland noch jetzt üblichen Namen des Februars, Sporkel oder Sporkelmaand, mit diesen Spurcalibus [sic, Spurcaliburs ist diesmal Odinssons Tippfehler, nicht Widlaks Druckfehler] in Verbindung gebracht und auch den Namen Hornung von den in diesem Monat häufig geleerten Hörnern bei Festgelagen ableiten wollen. Das Volk hing fest an diesen Lustbarkeiten. Um es davon abzubringen, veränderten die Apostel Deutschlands zuerst den Zeitpunkt und liessen diese Lustbarkeiten am Fest des hl. Thomas (21. Dezember.) anfangen  und am 13. Jänner enden. Statt dem Jul wurden der Geburt Christi die Freudentage gewidmet. So veränderte sich der abgöttische Gebrauch in einen heiligen, christlichen. In den Faschingslustbarkeiten sind noch jetzt heidnische Überbleibsel unverkennbar. (p. 431)
Wie man obigen Abschnitt ernsthaft für eine Übersetzung eines frühmittelalterlichen Textes halten kann ist mir gelinde gesagt schleierhaft (SporkelmaandFaschingslustbarkeiten? "noch jetzt üblich/unverkennbar"?) Der gute Rektor Widlak würde sich ja die Augen reiben, was ein trivialer Druckfehler in seinem Pamphlet 100 Jahre später anrichten konnte.
Ich bin nicht sicher, ob mein Tonfall hier richtig rüberkommt: Für mich ist das ein Schenkelklopfer, ich war gestern den ganzen Tag über dieses Missgeschick bestens gelaunt. Die Komik rührt daher, dass ein Hardcore-Rekonstruktionist treuherzig den Buchstaben von Widlaks Text übernimmt und sich dann  über das sträfliche Unwissen über die germansiche Feier spurc libus im heutigen Neuheidentum entsetzt. Ausserdem verspüre ich bereits Vorfreude darauf, dass sich die Sache im Internet-Heidentum verbreiten wird, bis mir eines Tages dann einer an irgendeinem Mittelaltermarkt oder Stammtisch mündlich davon berichten wird. 


Weshalb Seiters das Julfest im Februar ansiedeln will, ist dagegen eine gute Frage.
  • Laut Beda entsprachen ja die Monate giuli Dezember und Januar (December Giuli, eodem quo Januarius nomine, vocatur). Genauer: se ǽrra geóla "Vor-Jul" = Dezember, und se æftera geóla "Nach-Jul" = Januar. Woraus mmn. nichts anderes zu schliessen ist als dass geóla = Die Zwölfnächte.
  • Dass der niederländische sporkelmaand sich von diesen spurcalibus ableiten wurde bereits 1783 vom Bischof von Antwerpen vermutet  (Gallée 1894:251Nos hodieque Februarium vocamus Spurekal),  dass es sich dabei um Schweineopfer gehandelt habe, schient Seiters' eigene Idee zu sein (die aber in den 1880ern noch vertreten wurde, vgl. Auermann, Germanenglaube, 1939/40:223; .  Nebenbei sind hier (infolux.uni.lu) noch einige Details zu Spierkel, spurcalia. Das Problem liegt dabei, dass lat. spurcalia selbst nur spät und undeutlich belegt ist, und möglicherweise etwas mit Schweinen zu tun hatte; zugrunde liegt aber ein besser belegtes spurcus "schmutzig". Ob porcus, das Schwein, dann wiederum "das schmutzige Tier" hiess, ist dann bloss noch eine Frage der lateinischen Etymologie (und sicher nicht des Julfestes).
  • Der Name Hornung bzw. Horn für Februar bzw. Januar ist schwer zu erklären, aber ausgerechnet mit Trinkhörnern muss der Name nun wirklich nicht zu tun haben (Grimm: von dem hornharten froste hergeleitet; meine Privathypothese: die "Hörner des Jahres"; ganz abgesehen davon, dass während der Name sporkelmaand tatsächlich zum fraglichen geographischen Gebiet gehört,  Hornung in ganz Mitteldeutschland verbreitet war und nicht das geringste mit diesen fränkischen spurcalibus zu tun haben muss). 
Was das alles weiter mit Jul zu tun haben soll, ist mir nicht klar. Vielleicht via Schweineopfer (nb. selbst schon eine Hypothese) Freyr Alfablot Mittwinter? Ein Schweineopfer im Februar erscheint mir aber schon rein aus praktischen Gründen ausgeschlossen. Schweine werden im Herbst oder zu Winteranfang geschlachtet. Niemand füttert ein Schwein erst durch die harten Wintermonate, und schlachtet es dann just kurz bevor es sich wieder auf der Weide mästen könnte. Allenfalls könnte es auf ein Wurst-Aufessen gegen Winterende gegangen sein? Hier sind wir im Reich der reinen Spekulation. Auf jeden Fall lohnt es sich, diese "Besudelungen im Februar" im Hinterkopf zu behalten im Bezug auf ihren möglichen Zusammenhang mit der Fasnacht (den "Faschingslustbarkeiten"): Die Fasnachtsbräuche wie wir sie kennen entstehen im Spätmittelalter. Es gibt genug Quellen, die sich über das Ausufern dieser "neuen Bräuche" im 15. Jh. auslassen, so dass es eindeutig ist, dass damals neues Brauchtum eingeführt wurde. Aber natürlich kommt auch neues Brauchtum nicht aus dem luftleeren Raum sondern hat Anknüpfungen an Älteres, und indirekt setzen sich in der Fasnacht gewiss vorchristliche Bräuche fort. Die gängige Meinung ist, soviel ich weiss, dass älteres Brauchtum aus den Raunächten (also Jul-Brauchtum) im Spätmittelalter in die Fastenzeit hinübergewirkt hätte. Nun wäre aber hier mit diesen spurcalibus allenfalls ein zusätzlicher Anknüpfungspunkt für die Fasnacht an ältere Bräuche.

Einmal mehr bestätigt sich, dass, wer sich für germanisches Heidentum interessiert, sehr sehr gut daran tut, zuallerserst einmal Grimms Deutsche Mythologie aufmerksam zu lesen. Daran führt einfach kein Weg vorbei. Dies ist heute umso empfehlenswerter, als Grimms Werk frei zugänglich auf dem Internet herumliegt, und jeder Mensch mit Internetzugang, der deutsch oder englisch versteht, kann es lesen. Was dann seit 1835 dazu kam oder verworfen werden musste, kann im Vergleich dazu getrost als nice to know Expertenwissen betrachtet werden; wer es wirklich genau wissen will, muss dann halt das Reallexikon wälzen.

Wenn wir aber schonmal dabei sind, wieso betrachten wir im Vorbeigehen nicht auch noch den Indiculus als ganzes. Das wäre wohl einen eigenen Artikel wert, aber vorläufig finde ich beim besten Willen keine Zeit, das im Detail zu recherchieren:

I. de sacrilegio ad sepulchra mortuorum. II. de sacrilegio super defunctos, id est dadsisas. III. de spurcalibus in Februario. IV. de casulis, id est fanis. V. de sacrilegiis per ecclesias. VI. de sacris silvarum quas nimidas vocant. VII. de his quae faciunt super petras. VIII. de sacris Mercurii vel Jovis. IX. de sacrificio quod fit alicui sanctorum. X. de phylacteriis et ligaturis. XI. de fontibus sacrificiorum. XII. de incantationibus. XIII. de auguriis, vel avium vel equorum vel bovum stercore, vel sternutatione. XIV. de divinis vel sortilegis. XV. de igne fricato de ligno, id est nodfyr. XVI. de cerebro animalium. XVII. de observatione pagana in foco, vel in inchoatione rei alicujus. XVIII. de incertis locis quae colunt pro sacris. XIX. de petendo quod boni vocant sanctae Mariae. XX. de feriis quae faciunt Jovi vel Mercurio. XXI. de lunae defectione, quod dicunt Vinceluna. XXII. de tempestatibus et cornibus et cocleis. XXIII. de sulcis circa villas. XXIV. de pagano cursu quem yrias nominant, scissis pannis vel calceis. XXV. de eo, quod sibi sanctos fingunt quoslibet mortuos. XXVI. de simulacro de consparsa farina. XXVII. de simulacris de pannis factis. XXVIII. de simulacro quod per campos portant. XXIX. de ligneis pedibus vel manibus pagano ritu. XXX. De eo, quod credunt, quia feminae lunam commendent, quod possint corda hominum tollere juxta paganos

(über...) 1. das Opfer an den Gräbern der Toten; 2. das Opfer über den Toten, d.h. dadsisas (dadis as =Totenmahl?); 3. die Besudelungen im Februar; 4. Häuschen, d.h. Heiligtümer; 5. die Opfer bei Kirchen; 6. die Heiligtümer der Wälder, die sie nimidas nennen; 7. Handlungen, die sie auf Steinen tun; 8. die Heiligtümer Merkurs oder Jupiters; 9.  das Opfer für irgendwelche Heiligen; 10. Bänder und Fesseln;  11. heilige Quellen; 12. Beschwörungen; 13. Wahrsagerei aus den Vögeln, den Pferden dem Kuhmist oder aus dem Niesen; 14. Wahrsager und Losdeuter; 15. durch das Reiben von Holz erzeugte Feuer, d.h. Notfeuer (nodfyr); 16. das Gehirn von Tieren; 17. die heidnischen Verrichtungen am Herde oder beim zu Beginn von irgendwas; 18. ungenau bekannte Orte, wo sie Heiligtümer verehren; 19. die Anrufung, die die Guten die der Hl. Maria nennen(? Widlak: Strohbündel, St. Marienbündel?); 20. [Seiters, p. 438: diese Überschrift ist durchaus rätselhaft und aus den Worten nicht zu erklären]; 21. die Mondfinsternis, welche sie "Sieg-Mond" (vinceluna) nennen(?); 22. Unwetter, Hörner und Löffel; 23.  die Gräben um die Höfe; 24. Die heidnische Zusammenkunft mit zerrissenen Kleidern und Schuhen, die sie Yrias (Seiters liest  Frias und vermutet einen Dienst der Frea) nennen; 25. was sie sich über 'heilige Tote' zusammendichten; 26.  das Götzenbild aus verstreutem Mehl; 27. das Götzenbild aus Tuchstücken; 28. das Götzenbild, das sie über die Felder tragen; 29. hölzerne Füsse oder Hände nach heidnischem Brauch; 30. der heidnische Glaube, dass Frauen dem Mond vertrauen, so dass sie nach heidnischer Meinung die Herzen der Menschen wegnehmen können.
Das ist gar nicht so wenig für ein blosses Inhaltsverzeichnis. Die Rede ist von Totenverehrung, Wahrsagerei (u.a. mit dem Mist und mit Gehirnen von Tieren, und mit Niesen), Kultstätten (an Quellen, im Wald, auf Steinen, in kleinen Hütten, daneben offenbar auch in oder bei christlichen Kirchen). Als Götter sind zweimal "Merkur oder Jupiter" genannt. Ob es sich hier um Wotan, oder um Wotan und Donar, oder aber um die römischen bzw. gallo-romanischen Götter selbst handelte, lässt sich wohl nicht sagen (vielleicht vor lauter Synkretismus auch damals schon nicht; das Reallexikon nimmt hier aber den Verweis auf "Wodan und Donar" zum (eher wackligen) Indiz für sächsischen Ursprung), sowie die Verehrung einzelner "Heiliger", d.h. das Übergehen des Polytheismus in die mittelaltelriche Heiligenverehrung. Daneben Handlungen die eher dem klassischen "Aberglauben" entsprechen, d.h. Verrichtungen am Herd, zu Beginn von Unternehmungen,  gegen Unwetter (mit Hörnern und Löffeln), Gräben oder Furchen zum Schutz des Hofes, ein spezielles, durch Reibehölzer entfachtes Feuer mit dem Namen nodfyr "Notfeuer", dann Magie mithilfe von geflochtenen oder geknüpften Bändern, die Existenz von Kultbildern aus Mehl und aus Stoff, sowie das Herumtragen von von Kultfiguren auf den Feldern, genauso, wie das bis in die moderne Zeit vielerorts Brauch geblieben ist, dazu Hinweise auf hölzerne Hände und Füsse, wie man sie ebenfalls bis heute in katholischen Kirchen findet. Ein heidnisches Fest "Yrias" (oder Frias?), das mit zerrissener Kleidung gefeiert wird, sowie gewisse Bräuche im Februar, für die die frommen Bischöfe nur das Wort spurcalia "Beschmutzungen" fanden. Schliesslich noch etwas über Mondfinsternisse, und am Ende ein bemerkenswerter "Mondzauber" der an die Quellen zu "dianagläubigen" Frauen aus derselben Zeit erinnert.

An dieser Stelle muss der Vollständigkeit halber gesagt werden, während Pertz 1835, Grimm 1835, Seiters 1851 und eben auch Widlak 1903 davon ausgehen, der Indiculus halte fränkische Zustände um 740 fest und sei nur zufällig in einer Abschrift um 790 erhalten, gibt es spätestens seit den 1890ern auch die Auffassung, der Text habe nichts mit Bonifatius, Leptinä oder Franken zu tun und stamme ursprünglich von etwa 780 und beziehe sich direkt auf die Sachsen (Hauck 1890:357¹, Gallée 1894:249-251). Das Reallexikon vermerkt denn auch, die Beurteilung der Herkunft des Indiculus sei "umstritten". Dies ist mmn. genau so eine nice to know Germanisten-Debatte, die ganz gewiss weder jeder Germanist noch jeder Heide am Schnürchen haben muss. Das Problem ist, dass der Inhalt des Textes sich deutlich auf bereits christianisierte Bevölkerung bezieht, die sich die christlichen Heiligen bereits in ihr heidnisch-abergläubisches Weltbild eingebaut haben (was bei eben erst bekehrten Sachsen kaum der Fall wäre), während der Lautstand der germanischen Wörter dadsisas, nimidas und nodfyr im Text eben nicht fränkisch sondern sächsisch scheint. Dazu werden ausgerechnet die spurcalia in februario als Indiz zitiert, wobei es sich um ein "westfälisch-niederrheinisches Frauen- und Fruchtbarkeitsfest" handeln soll. Nun, vielleicht haben die modernen Germanisten recht und Grimm nicht. Wobei, "westfälisch-niederrheinisch" an sich deutet ja noch nicht unweigerlich auf die Sachsen, sondern eben auf das Grenzgebiet zwischen Franken und Sachsen. Wenn ich entscheiden soll, überwiegt für mich eher der Inhalt, nämlich das Bild eines totalen heidnisch-christlichen Synkretismus, wie er erst wenige Jahre nach der Bekehrung Widukinds bei den Sachsen noch kaum geherrscht hätte. Und immerhin heisst der Februar Sporkel in den Niederlanden und nicht in Sachsen. Ob wir hier einen echten Fortschritt der Forschung gegenüber den "älteren Meinungen" haben oder doch eher ein blosses akademisches Zerreden (was ja auch vorkommen soll), bleibe hier einmal dahingestellt.

Wir hätten hier also, wenn wir weiter Grimm und Widlak folgen und die sächsische Abschrift für blosses "recycling" halten,  eine Momentaufnahme der Volksreligion aus dem Gebiet des heutigen Belgien im frühen Mittelalter. Kurz gesagt, im 8. Jh., mehr als 200 Jahre nach der Christianisierung, blühte ein reicher und aktiver Volksglaube im Frankenland. Weit davon entfernt, dass "in den kirchlichen Giftschränken die komplette Glaubenswelt unserer Ahnen vor uns versteckt wird" (Odinsson), ohne die damalige Schriftkultur und dem Dokumentationseifer der Bischöfe wäre nicht einmal das wenige von dieser Glaubenswelt überliefert worden, das wir heute haben.

Mein Verständnis des Projektes Alte Sitte ist die Auffassung, dass dieser Volksglaube eben gar nie aufgehört hat, zumindest nicht bis zur Reformation oder gar bis zur Industrialisierung. Und "angefangen" hat er eben auch nie: Ich bin sehr wohl der Ansicht, dass es "die Germanen" gegeben hat, genauso, wie es in der Antike auch "die Griechen" (Hellenen) gab. Diese Bezeichnungen sind ethnographisch (und nicht nur linguistisch) sinnvoll, spiegeln ein reales Bewusstsein der Verwandtschaft zwischen den einzelnen Stämmen innerhalb dieser Volksgruppen.
Eine "germanische Religion" gab es dann aber in genau demselben Sinn, wie es eine "griechische Religion" gab: eine Überlagerung und ständig im Fluss befindliche Vielheit von regionalen aber miteinander in Bezug stehenden Traditionen (wer sich unter griechischer Mythologie die genormte Fassung nach Ovid vorstellt, der lese Burkert). Aus der Volksfrömmigkeit in Belgien im 8. Jh. irgendwelche zwingenden Schlüsse auf das Datum des "germanischen Jul" (wann? wo? 200 v. Chr.? 100 n. Chr.?) zu ziehen ist von Anbeginn an hoffnungslos. Genauso sinnlos ist die Frage "an welchem Tag feierten die Germanen Jul". Genug, dass ein Julfest um Mittwinter eine gemeingermanische Sache ist, die die einzelnen regionalen Traditionen miteinander verbindet. Über Einzelheiten wird man jede Region, jeden Stamm und jedes Jahrhundert separat befragen müssen, und das ist auch gut so: Genau das macht die antiken Religionen zu "Heidentum", nämlich im Gegensatz zu universalistischen Buchreligionen mit einheitlichem Festkalender (oder meinetwegen macht es sie zu "Naturreligion", obwohl ich zu diesem Kompositum, eine etwas unverantwortliche Verbindung von zwei selbst schon hochdiffizilen Begriffen, einiges zu sagen hätte).

5 Kommentare:

  1. Sie können hier argumentieren wie Sie wollen, das ist Ihr gutes Recht. Gegen das Recht verstösst es, solche Unterstellungen über mich namentlich zu veröffentlichen. Ich habe dergleichen über Christen, Wiccas, Wiccatru, Heidenvereine etc. nie geschrieben. Unterlassen Sie so etwas bitte und streichen Sie diese falschen Darstellungen , sonst muss ich den Rechtsweg beschreiten.

    "dieser Odinsson hat sehr wenig Geduld mit Leuten, die das "Falsche" tun oder glauben. Christen sind allesamt perfide Sadisten und Teufelsanbeter. Wicca und "Wiccatru" sind arme Idioten, die nicht wissen, was sie tun. Alle heidnischen Vereine Deutschlands sind entweder Altnazis oder pseudoheidnische Heuchler, s. Christen."

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  2. Aber gerne. Dies weniger aus Sorge um den "Rechtsweg" als um den rechten Weg, das ist nicht immer dasselbe.

    Denn Falschaussagen möchte ich schon auf eigene Rechnung auf gar keinen Fall machen, und werde getreulich Paraphrasen als Paraphrasen und eigene Meinungen als eigene Meinungen kennzeichnen, es könnte ja sein, dass hier jemand mitliest, der nicht aus eigener Kraft in der Lage ist, solche zu erkennen.

    Allerdings, juristisch gesehen wäre die mutmassliche Straftat natürlich absolutes Neuland: "Jemand wurde auf dem Internet von jemand anderem flapsig paraphrasiert; beide Parteien verwendeten Pseudonyme". Was ist nur aus dem Internet geworden,! Höchste Zeit, dass hier auf dem Rechtsweg für Ordnung gesorgt wird.

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  3. Täuschen Sie sich nicht, auch Pseudonyme unterliegen der Rechtsprechung, da gibt es nichts zu ändern.
    Auch wenn ich überhaupt keine Lust habe, mich mit Ihnen auch noch juristisch auseinanderzusetzen, ist Ihr Mobbingversuch über Dritte, über die ich angeblich etwas derartig abschätziges gesagt haben soll, die unterste Kategorie zwischenmenschlicher Auseinandersetzung. Aber aus der Geschichte des organisierten Christentums nicht wegzudenken.

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  4. Jaja, ich habe Verständnis dafür, wenn Sie etwas verärgert sind, schliesslich habe ich mich ziemlich schadlos gehalten. So weit so gut. Nun lassen Sie's aber auch mal gut sein, bewahren Sie Haltung.
    Wenn Sie mich verklagen wollen, dann tun Sie es einfach, statt in Kommentaren darüber zu erzählen, und wenn nicht, dann verweise ich auf die ehrwürdige skaldische Tradition des Spottgedichts: wenn Sie jemand öffentlich verspottet, haben Sie zwei Möglichkeiten, die Ehre zu retten: entweder spielen Sie beleidigte Leberwurst und fordern Satisfaktion (in unserem Fall: der Rechtsweg), oder aber Sie zeigen Ihren Witz, indem Sie noch spöttischer und fieser zurückgeben.
    Eine fiese, meinetwegen auch beleidigende Replik Ihrerseits werde ich hier gerne zulassen, solange sie auch endlich etwas zum Thema sagt. Weitere Belehrungen über Rechtsweg und -sprechung werde ich hingegen aus den Kommentaren entfernen, dies ist kein Justiz-Blog.

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  5. Sag noch mal was gegen Wicca und ich hau dir eine rein, du blöder Ârschgeiger!


    Freundliche Grüße "Fhiáin Fáelchú"

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